Portraits

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  • Hoffnung auf 21 Quadratmetern

    Hoffnung auf 21 Quadratmetern

    Der Syrer Mohamad Akhkoubak ist von Damaskus aus über fünf Länder nach Deutschland geflüchtet und steht mit 40 Jahren am Anfang eines neuen Lebens

    Ein gemachtes Bett, ein kariertes Sofa, ein Couchtisch, blaue Auslegware. Neben der Singleküchenzeile mit Zweiplattenherd trocknet Geschirr in einem Regal. Der Wasserkocher brodelt, Mohamad Akhkoubak rührt löslichen Kaffee an und leert eine Tüte Schokoladen-Ostereier in eine Schale. Über dem Sofa hängt ein Werbeposter für deutsche Elektroautos. Darauf steht: „Dynamik trifft Verantwortung.“

    21 Quadratmeter Darmstadt, das ist das neue Zuhause des 40 Jahre alten Syrers aus Damaskus. Nach einer mehr als einmonatigen Flucht über fünf Länder ist er in Deutschland angekommen und lebt nun in einem Appartementhaus im Martinsviertel. Viel hat er nicht, sein Hab und Gut beschränkt sich auf ein Bett, einen kleinen Elektroofen, eine Kaffeemaschine einen reparierten Laptop, einen Flachbild-TV, ein Handy voller Fotos, etwas Kleidung und ein Fahrrad, das dem 1,85-Meter-Mann viel zu klein ist. Doch von etwas anderem hat er sehr viel: Zuversicht.

    „Ich mag diese Stadt und ich hoffe, hier Arbeit zu finden“, sagt er in flüssigem Englisch mit arabischem Akzent. „Für mich ist Deutschland ein Traum.“ Nicht nur als Elektrotechniker, der er ist, habe es für ihn schon immer für hohe Qualität und langes Leben gestanden. Er möchte hier für sich und seine Familie eine neue, eine bessere Zukunft aufbauen.

    Mohamad Akhkoubak hat gute – und im Vergleich zu vielen anderen Flüchtlingen sicher bessere – Chancen, dass das gelingen kann: Er hat eine Fachausbildung und jede Menge Berufserfahrung, spricht gut Englisch und schon ein bisschen Deutsch. Er ist ein zugewandter, sonniger Typ, der viel lacht und oft sagt: „Ich habe kein Problem damit.“ Und dass er wegen seiner tscherkessischen Abstammung und seinen blonden Haaren nicht gerade dem Klischeebild eines Syrers entspricht, hat ihm schon auf der Fluch geholfen.

    In seiner Heimat ging es ihm mit seiner Arbeit, seiner Frau Heba und ihren beiden Kindern soweit gut – bis 2011 im Zuge der Proteste gegen das Assad-Regime der Bürgerkrieg ausbrach und das Land mit Gewalt und Unsicherheit auflud. „Vorher hat keiner gefragt, ob du Moslem oder Christ bist“, erzählt Akhkoubak, der sich selbst als Moslem mit westlicher Ausrichtung beschreibt. „Es war plötzlich eine ganz andere Situation.“

    Feindseligkeiten bildeten sich heraus, es entstanden Fronten. „Und ich war mittendrin.“ So hätten Leute des Assad-Regimes von ihm verlangt, in dem Internetcafé, in dem er nebenberuflich arbeitete, Kunden auszuspionieren. Doch er habe sich verweigert. Gleichzeitig sei er von Männern der Terrorgruppe „Islamischer Staat“ bedroht worden, die ihn für einen Regimespitzel gehalten hätten. Schließlich warf ihn die Regierung ins Gefängnis.

    Dort verbrachte er schreckliche zweieinhalb Monate, in denen  sein Gedanke an Flucht letztlich geboren wurde: 42 Leute, so berichtet er, waren zusammengepfercht auf weniger als 20 Quadratmetern, nur das Nötigste zu Essen, als Toilette ein Loch im Boden. Das Schlimmste sei gewesen: „Man weiß nicht, wie man schlafen soll.“ Sie taten es in der Hocke, eng ineinander geschachtelt wie Sardinen in einer Büchse.

    Und dann die Befragungen unter Folter: An den Händen aufgehängt, die Augen verbunden, heftige Schläge auf die Füße oder ins Gesicht. „Mein Handgelenk knackt seither“, sagt er und macht es zum Beweis im Handumdrehen vor. Auch viele Zähne seien dabei zerbrochen. „Ich fing an zu denken, ich muss hier raus, ich muss ein neues Leben beginnen.“ Als er schließlich entlassen wurde, habe er einen Monat lang seine Verletzungen auskuriert und die Flucht angetreten – nicht, ohne seine Familie einzuweihen. „Meine Frau Heba weinte“, sagt er. Aber sie habe ihm auch zugestimmt: „Wir haben hier keine Zukunft.“

    Der sieht er nun, nach einem langen und beschwerlichen Fluchtweg endlich angekommen (dazu mehr in der Hintergrundbox), recht positiv entgegen: Seit November hat er die Anerkennung als Flüchtling durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge für vorerst drei Jahre. Das heißt, er darf arbeiten und seine Familie herholen. Der Antrag auf Zusammenführung läuft bereits. Er hat einen ersten Deutschkurs absolviert und vor Kurzem den obligatorischen Integrationskurs angetreten.

    Auch Arbeit sucht er eifrig, denn er will nicht ewig von staatlicher Unterstützung abhängig sein. Derzeit lebt er von Hartz IV, das sind 365 Euro im Monat plus Miete und Heizung. Er würde jede Arbeit machen, betont er. Doch am optimalsten wäre für ihn, wenn er in seinem Beruf als Elektrotechniker arbeiten könnte. Aber dafür brauche er noch bessere Deutsch- und Englischkenntnisse. Was er am meisten macht, wenn er mittags vom Integrationskurs kommt, ist daher lernen, lernen, lernen.

    Sprache ist der Schlüssel zu der erhofften Zukunft, das weiß er nicht erst seit seiner Ankunft hier. „Wir waren keine reichen Leute, mein Vater war Grundschullehrer“, erzählt er. „Und er sagte immer: Wenn man andere Sprachen spricht, kann man in andere Welten gehen.“ Mohamad Akhkoubak ist in einer anderen Welt angekommen. Ob hier für ihn die erhoffte bessere Zukunft liegt, wird sich zeigen.

    Hintergrund: Der Fluchtweg

    Mohamad Akhkoubak führte die Flucht von Syrien nach Deutschland über fünf Länder und kostete seinen Angaben zufolge 4500 Euro, die er vorwiegend für Schlepper zu zahlen hatte. Mit dem Auto ging es zunächst in den benachbarten Libanon und dann mit dem Flugzeug nach Istanbul. Dort lebte seit anderthalb Jahren seine Cousine Hanna, die den Fluchtweg fortan mit ihm zusammen antrat.

    Mit einem etwa acht Meter langen Schlauchboot mit 36 Menschen darin ging es über das Mittelmeer in einer dreistündigen Überfahrt auf eine kleine griechische Insel, wo die Flüchtlinge von der Polizei aufgegriffen und zwei Tage später in ein Lager nach Samos gebracht wurden. Dort blieben sie 18 Tage, bevor die Polizei sie in Athen in die Freiheit entließ. Mit Hilfe anderer Schlepper, von denen in dem Lager erzählt worden war, fuhren sie einer Fähre auf die Insel Santurin und flogen weiter nach Neapel.

    Von da ab reisten sie in der Tarnung von Touristen, ausgestattet mit einem italienischen Identitätsausweis. Per Auto ging es nach Mailand, wo sie eine Nacht auf der Straße verbrachten und von einem Dieb mit Messer um 400 Euro beraubt worden seien. Weiter ging es mit dem Auto nach Bern und von dort mit dem Zug nach Deutschland.

    Von Mannheim aus kontaktierte Mohamad Akhkoubak seinen Bruder, der nach einem Studium in Darmstadt seit sechs Jahren in Wixhausen lebt und ihm riet, sich an die Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge in Gießen zu wenden. Dort kam er am 8. August 2014 an und blieb etwa einen Monat, bevor er am 12. September nach Darmstadt kam. Zunächst lebte er in einer Wohneinrichtung in der Siedlung Tann bei Griesheim, bis er seine jetzige Wohnung fand.

  • Der Welt-Buchstaben-Macher

    Der Welt-Buchstaben-Macher

    Der Schriftgestalter Herrman Zapf hat mit seinem Kunsthandwerk Typografie-Geschichte geschrieben bis ins Computerzeitalter – Eine Annäherung von A bis Z

    Alphabet. Hermann Zapf ist umgeben davon. Im Haus des Mannes, der weltweit als einer der bedeutendsten und einflussreichsten Typografen und Buchgestalter des 20. Jahrhunderts gilt, sind die Buchstaben omnipräsent. Im Arbeitszimmer auf Buchrücken oder hinter Glas. Im Wohnzimmer als Schriftblätter gerahmt. Dort leuchtet bunt ein verschlungenes ABC von der Wand: Das freche B stubst ein ahnungsloses A an, über N, P und Q legt sich ein ausladendes O. Buchstabenfamilie. Auch im Garten tummeln sie sich auf einer Metallplastik: „Hora fugit, carpe diem.“ Die Zeit vergeht, nutze den Tag.

    Buch. Die Urzelle seines Schaffens. Nicht nur, weil er 1935 anfing, sich nach Lehrbüchern von Rudolf Koch und Edward Johnston mit dem Schriftschreiben zu befassen. „Ein Buch ist ein ästhetisches Stück, etwas Haptisches, was Sie anfassen können“, sagt Hermann Zapf, während seine 95 Jahre alten Hände lebhaft durch die Luft fahren und die Worte untermalen. „Ein Haushalt, der keine Bücher hat, ist eine leere Welt, da ist keine Wärme drin.“

    Computer. Der Buchgestalter verteufelt ihn nicht. Im Gegenteil: Er arbeitet zwar nicht mit, aber für ihn. Zig Alphabete aus seiner Hand sind heute fester Bestandteil in der Schriftauswahlliste am heimischen PC. Die Palatino, zum Beispiel. „Der Bildschirm wird dominieren – das tut er ja schon, aber dass er das Buch total verdrängt, glaube ich nicht“, sagt Hermann Zapf. Der Computer sei für vieles nicht mehr zu entbehren, aber er stelle eine abstrakte Welt dar. Sein Ton bekommt einen beseelten Klang: „Aber von der Ästhetik her sagt mir ein Gedicht am Bildschirm lange nicht so viel, als wenn ich das schön dargestellt auf Papier in einem Buch finde. Ich bin überzeugt, dass selbst in hundert Jahren Leute noch gern ein schönes Buch anschauen.“

    Darmstadt. Hier lebt er seit 1972. Damals holte ihn die Prinzessin an den Woog, um eine Privatpresse aufzubauen. Doch das Projekt ist gestorben, bevor es zu leben begann. Finanzprobleme. Der Typograf blieb. „Ich hatte mehrfach die Möglichkeit, in die USA zu gehen, aber wir haben´s ja hier so schön“, befindet er. „Der Vorteil an Darmstadt ist, dass die Proportionen menschlich, sympathisch, nicht so übermäßig und aufgeblasen sind.“ Wie eine Schrift namens Darmstadt aussehen müsste? Schwierig. „Eine Schrift sollte ja etwas Bestimmtes ausdrücken, und Darmstadt sagt mir zu wenig für Buchstaben.

    Entwerfer. Als solchen sieht er sich selbst. Ganz klar. Alte Schule.

    F. Ein kniffliger Kandidat. Hermann Zapf spricht aus dem Nähkästchen: „Früher war das immer der schwierigste Buchstabe, das kleine F kursiv – daran haben sich alle den Kopf zerbrochen.“ Und ihn anschließend verkürzen müssen, damit er auf die Schriftsetzmaschinen-Matrize passte.

    Gudrun Zapf von Hesse. Seit mehr als sechzig Jahren seine Frau. Und ebenfalls eine Schrift- und Buchgestalterin von Weltrang.

    Hand. Sie hält einen Bleistift und zeichnet schwungvoll ein wohl geformtes K. Dann wandert sie gewissenhaft über das Papier und produziert ein Millimeter kleine Buchstaben. Gleichmäßig und ruhig, wie ein automatisiertes Schreibwerkzeug. Viele seiner Kollegen entwerfen Schriften am Computer. Zapf nicht. „Ich habe noch eine absolute Kontrolle über meine Hand, warum soll ich da ´ne Maschine nehmen?“, fragt er. „Das ist genau wie bei einem Klavierspieler: Der kann sich auch eine CD anhören, aber dann ist der Spaß weg.“ Die Hand zeichnet weiter, ohne Zittern – nicht mal der Puls macht sich bemerkbar. Hermann Zapf lacht: „Ich trinke keinen Kaffee, vielleicht liegt´s daran.“

    Inspiration. Die spielt im Schaffen von Hermann Zapf weniger eine Rolle. Die Arbeit basiert vielmehr auf Vorgaben von Firmen, die neue Möglichkeiten ausprobieren wollen. „Der technische Fortschritt macht die Geschichte interessant, weil man immer wieder Neuland betritt“, betont er. „Neue Möglichkeiten versuchen und in eine Schrift einbauen: Das ist es, was mich interessiert.“

    Jeans. Hermann Zapf trägt keine.

    Kunst. Kann, sollte oder muss Schrift das sein? Kann – ja, sollte – nicht, muss – auf keinen Fall. „Sie können mit Schriften richtig rumspielen, dagegen ist nichts zu sagen“, befindet Zapf. Einerseits. Aber: Schrift als reiner Selbstzweck ist für ihn nicht erstrebenswert. „Prinzipiell ist das ein Produkt, das einen Gebrauchszweck hat.“ Punkt.

    Lesbarkeit. Darum geht es. Bevor eine Zapf-Schrift auf den Markt kommt, wird sie umfangreich durchgetestet. An Erwachsenen, an Kindern, unter verschiedenen Lichteinflüssen. „Die Lesbarkeit haben wir früher nicht so beachtet“, berichtet Zapf. „Aber da haben die Leute auch langsamer gelesen. Wir haben ja heute nicht mehr so die Ruhe wie früher, die Muße ist fort.“ Was er allein alles an Zeitschriften zu lesen habe… „Sie können das alles nur durchblättern, wie wollen Sie das denn sonst  bewältigen?“ Er hat einen Weg gefunden. Seit er einen amerikanischen Schnelllesekurs mitgemacht hat, packt er Zeile um Zeile zwischen kleinen und Zeigefinger und fährt den Text von oben nach unten ab. Fokussierungsschiff in der Informationsflut.

    Mitte des Alphabets. Durchatmen. Hermann Zapf sitzt leger im Sessel und lässt den Blick durch das große Fenster in den Garten schweifen. „Ich kann hier immer so schön ins Grüne gucken“, sagt er und lächelt sein aufgewecktes Lächeln.

    Natur. Buchstaben wachsen dort nicht. Vielleicht zieht es ihn dort deshalb ständig hin. Vielleicht.

    Optima. Eine Druckschrift. Zapf schuf sie zwischen 1950 und 1958. Serifenlos, schnörkellos, schlicht – optimal geeignet für Massenmedien, wie er feststellt. Sie gehört zu seinen Lieblingsschriften.

    Pension. Der Schriftentwerfer ist schon lange im Ruhestand, doch zum Stillstand wird es Zeit seines Lebens wohl kaum kommen. „Schriften, die ich früher gemacht habe, müssen inzwischen noch ergänzt werden, zum Beispiel für Microsoft die Palatino.“ Das müsse er zu Ende bringen, weil sich jemand anderes da gar nicht reindenken kann. Nicht nur deshalb: „Das macht mir Spaß.“

    Querdenker. Ist er nicht. Hermann Zapf ist Pragmatiker mit einem ausgeprägten und erfahrenen Sinn für klassische Ästhetik. Über den  experimentierfreudigen Typografen-Nachwuchs, der Buchstaben verstümmelt, kann der ehemalige Lehrbeauftragte daher manchmal nur den Kopf schütteln:  „Wenn man damit sein Brot verdienen will, kann man nicht jeden Tag so was Verrücktes machen. Die sollen lieber die Grundlagen lernen.“

    Rosenhöhe. Sein Lieblingsort in Darmstadt. „Für mich ist die Rosenhöhe die Zentrale. Und da ich direkt nebendran wohne, ist sie quasi ein Stück geliehener Garten, den ich nicht bewirtschaften brauche.“ Nicht alles in Darmstadt findet seinen Beifall, betont Zapf. „Aber was die Rosenhöhe angeht, das ist ein großes Verdienst von Darmstadt. Wie die Gärtner das in Schuss halten, das ist schon enorm. Die ist so schön, ich brauche gar nichts anderes.“

    Schriften. Fast 200 hat er entworfen. Die erste Drucktype entstand 1938 in Frankfurt, eine Fraktur namens Gilgengart. Es folgten unter anderem Palatino und Michelangelo, Melior, Saphir, Linofilm Venture, Zapf Rennaissance Antiqua, ITC Zapf Chancery, Zapfino oder Zapf Dingbats. Produktiv war der emsige Schriftgestalter aber nicht nur auf dem Gebiet des lateinischen Alphabets: Er entwarf arabische und griechische Druckschriften, arbeitete an der Vereinheitlichung der Schrift in Nigeria oder überarbeitete alte Schriftzeichen neu für die Cherokee-Indianer. Seine Alphabete finden sich heute in Büchern und Zeitschriften auf der ganzen Welt, im Fernsehen, auf Briefmarken in vielen Ländern und überall dort, wo elektronische Textverarbeitung mit Laserdruckern angewendet wird.

    Typograf: Gestalter mit Druckschriften.

    Urheberrecht. In Hermann Zapfs Gesicht breitet sich Enttäuschung aus, wenn dieses Stichwort fällt. „Meine Schriften sind die meist kopierten in der ganzen Welt“, bedauert er. „Vor allem die Amerikaner sind dafür bekannt, dass sie solche Dinge nicht respektieren.“ Für ihn eine traurige Geschichte. Einklagen? Unmöglich. „Ich kann heute keinen jahrelangen Prozess mehr führen – und finanziell schon gar nicht.“

    Vita. Vital gefüllt im Falle von Hermann Zapf: Am 8. November 1918 in Nürnberg geboren, übersiedelte er 1938 nach Frankfurt, wo er für die Druck- und Notenwerkstatt „Haus zum Fürsteneck“ arbeitete und später als künstlerischer Leiter in der Schriftgießerei D. Stempel AG. Später lehrte er: 1948-50 an der Werkkunstschule Offenbach, 1960 am Carnegie Institute of Technology in  Pittsburgh/Pennsylvania, ab 1972 an der Technischen Hochschule Darmstadt und von 1977 bis 1987 als Professor für „Typographic Computer Programs“ am Rochester Institute of Technology im Staat New York. 1974 erhielt er den Gutenberg-Preis der Stadt Mainz und 1985 die Auszeichnung Honorary Designer for Idustry der Royal Society of Arts in London – zwei Auszeichnungen von vielen.

    Wandel. Vom Bleisatz zum Fotosatz zum digitalen Satz. Zapf hat die druckgrafische Entwicklung von der Gutenberg-Ära zum Computerzeitalter nicht mitgemacht – er hat sie mitbestimmt. Er war einer der ersten, der das historische Erbe jahrhundertealter europäischer Schriftkunst mit den technischen Möglichkeiten computergestützter Typografie zu verbinden wusste. Bereits seit den sechziger Jahren hat er sich – damals innovativ und mutig – als Gestalter für typografische Computerprogramme engagiert. Allerdings nicht, ohne sich von den Wurzeln zu entfernen. Bis heute zeichnet er ausschließlich mit Pinsel und Stift auf Papier.

    X/Y ungelöst. Stichwort Geheimschrift. Seine erste Arbeit. Entworfen hat er sie als kleiner Junge zusammen mit seinem Bruder, damit die Eltern nicht mitbekommen, was in den Köpfen ihrer Sprösslinge vor sich geht. Wie sie funktionierte, lässt Zapf – ein verschmitztes Grinsen im Gesicht – im Unklaren. „Hat etwas mit deformierten Buchstaben zu tun“, verrät er nur. „Das ergibt Worte, die kann kein Mensch lesen.“ Spitzbübische Jugendsünde eines an Funktionalität orientierten Schriftentwerfers.

    Zapf. Hermann. Unter diesem Stichwort listet die Suchmaschine Google fast 900.000 Internet-Einträge auf. Daneben ist der renommierte Schriftentwerfer in unzähligen Lexika zu finden. Und seit 2015 ziert sein Name einen Grabstein auf dem Alten Friedhof in Darmstadt, wo er im Alter von 96 Jahren verstorben ist.

  • Überzeugungstäter mit Dauerkarte

    Überzeugungstäter mit Dauerkarte

    Hans Leyendecker ist einer der gefürchtetesten Polit-Rechercheure des Landes, und glühender Borussia-Fan ist er auch – Über einen konsequenten Journalisten in einer sich wandelnden Medienwelt

    Er ist ein zierlicher Mann, der still an seinem Schreibtisch sitzt. Sein Kopf ist leicht nach oben gerichtet, während er auf die beiden Monitore blickt und sich aufmerksam durch Nachrichten und Mails klickt. Links von ihm liegt ein aufgeschlagener Aktenordner, rechts von ihm steht ein Papierkorb, halbvoll mit ausgelesenen Blättern. „Der UEFA-Skandal“ steht auf dem obersten.

    Ein Kollege schaut durch die weit offene Tür: „Wo essen Sie denn heute?“, fragt er. „Gar nicht, ich esse gar nichts“, antwortet Hans Leyendecker und lächelt, wie amüsiert über sich selbst. Es ist schon lange dunkel draußen, doch zu Abend gegessen wird nicht. Die geschnittenen Fruchtstücke, die in einem Plastikbecher auf dem Tisch parat stehen, sind nicht angerührt. Er wendet sich wieder der Arbeit zu. Sein blasses Gesicht lässt erahnen, dass er nicht viel Luft abbekommen hat.

    Eine konzentrierte Ruhe erfüllt das höchstens 15 Quadratmeter große Büro im 25. Stock des erschlagend großen Hochhauses der „Süddeutschen Zeitung“ in München. Nur eins irritiert, und das enorm, es erschlägt einen: Die Flut an „Borussia Dortmund“-Fanartikeln, deren grelles Gelb-Schwarz den kleinen Raum so stark dominiert, dass man die BVB-Fanrufe fast hören kann. An der Wand ein sehr großes Banner, auf dem Tisch ein kleines Männchen, darüber ein Mannschaftsfoto, eine Dose, die Tastaturunterlage – alles ruft in gelb-schwarz: „Booooorussia!“

    So sieht also das Büro eines der profiliertesten politischen Journalisten des Landes aus. Eines Mannes, dessen beharrliche Recherchen schon Anfang der Achtziger, damals noch beim Spiegel, die Affäre um die Flick-Spenden aufdeckte und Ende der Neunziger die um das CDU-Schwarzgeld, der Plutoniumschmuggel beim Bundesnachrichtendienst enthüllte, der beharrlich berichtete über die Visa-Affäre im Auswärtigen Amt oder jüngst den NSU-Skandal. Den man immer mal wieder als prominentes SZ-Aushängeschild in TV-Talkshows erlebt als einen, der Position bezieht – etwa, wenn es darum geht, den Steuerbetrug von FC-Bayern-Präsident Uli Hoeneß ganz klar als kriminellen Akt zu verurteilen.

    Der verwunderte Blick löst sich in seinem SZ-Büro von der schrillen Borussen-Kulisse und wandert zur gegenüber liegenden Wand. Dort hängen Aktenvermerke und Behördendokumente, gerahmt und hinter Glas. Sie sind erst gar nicht aufgefallen. Aber es sind ziemlich viele. Darunter eine Erklärung von Kanzler Kohl im Untersuchungsausschuss, datiert auf den 26.2.01: „…habe ich überhaupt keine Erinnerung, dass wir Kontakt mit dem Herrn Schreiber…“

    Langsam schwant einem, dass all die Fußball-Devotionalien gar keinen Kontrast darstellen. Vielmehr sind sie die Kehrseite einer Medaille: Es ist das Büro eines Überzeugungstäters, hier arbeitet ein Fakten- und Fußballfan, dessen Leidenschaften zu verorten sich zwischen Gelb-Schwarz und Schwarz auf Weiß.

    Mit seiner Haltung eckt Leyendecker auch an. Als er voriges Jahr bei einem Journalisten-Kongress in Berlin sprach und dabei alles andere als Bauchpinselei seiner Branche betrieb, war nicht jeder erfreut. Seine Finger rieben während der Rede immer wieder über die Stirn, als helfe das beim Herausbefördern der Gedanken: „Die wirklich große Gefahr für den Journalismus geht vom Journalismus aus.“ Mut und Geistlosigkeit seiner Zunft beklagte er und eine Verflachung im schnelllebigen Internetzeitalter. Qualität komme nun mal von Qual. „Der Leyendecker“, raunte einer nach der Rede, „ist doch von gestern.“

    Der Leyendecker lehnt sich in seiner Büroparzelle auf dem Stuhl zurück, verschränkt die Arme, fasst sich mit einer Hand ans Kinn und sagt: „Das stimmt, ja.“ Er spricht ruhig, es klingt auf müde Art sanft. Mit 63 Jahren und acht Enkeln sei man aus einer anderen Zeit. Er twittert nicht, er bloggt nicht, er chattet nicht. „Will ich nicht“, sagt er knapp. „Die Faszination der heutigen Eilmeldungen leuchtet mir nicht so ein.“

    Das Telefon klingelt. „Entschuldigung“, sagt er höflich und nimmt den Hörer ab. Ein Kollege ist dran. „Auf der Zwei kommt was über polnische CIA-Gefängnisse“, antwortet Leyendecker auf dessen Frage. Viel mehr könne er dazu gerade auch nicht sagen. Im nächsten Moment legt er wieder auf. Dann geht auf dem Handy eine SMS ein, auf die er – „Entschuldigung, bitte“ – umgehend reagiert.

    Er ist ein Printjournalist alter Prägung, aber die neuen Medien lehnt er nicht grundsätzlich ab. „Es gibt viele Vorteile.“ Die Kooperation mit Kollegen sei besser geworden, auch die Beschaffung von Informationen, jederzeit könne er online die „New York Times“ lesen. Das findet er toll. Nie zuvor sei so viel Information verfügbar, aber auch nie zuvor ein Orientierung bietender Journalismus wichtiger gewesen als Wegweiser im Wirrwarr. Und, so ergänzt er: „Ich glaube, dass die Leute eine stille Sehnsucht nach Aufklärung haben.“

    Leyendecker verschafft sie ihnen wie ein gründlicher Beamter. Mit seiner gedeckten Kleidung, ein kleinkarierter Hemdkragen lugt aus einem V-Ausschnitt, die randlose Brille hängt über einem Schnäuzer, könnte er als Behördenleiter durchgehen. Und so was in der Art ist der Chef des SZ-Investigativ-Ressorts auch. Da genügt ein Blick entlang der Regale voller Aktenordner: BND, RAF, Stasi, Telekom. Allein das NSU-Material füllt bislang 700 Stück. „Ich bin ein Leitzordner-Journalist“, hat er mal in einem Interview gesagt. Noch weniger glamourös klingt es, wenn er seine Arbeitsweise beschreibt: „Ich versuche, möglichst viel Material zu bekommen und mit Leuten zu reden.“

    Das geht um 6 Uhr morgens los und oft bis 23 Uhr. An zwei Tagen die Woche ist er bei der SZ in München, ansonsten arbeitet der gebürtige Rheinländer Zuhause in Leichlingen im Bergischen Land. „Haltung ist nicht alles, das zeigt die FR.“ Mit gerader Haltung könne man ganz schön in die Grube fallen. „Fleiß ist ein ganz wichtiger Faktor“, betont der studierte Historiker, für den gründliches Quellenstudium das tägliche Brot ist. Doch er arbeitet weniger als früher, das Wochenende nimmt er sich mittlerweile frei und geht oft zur Borussia. Er hat eine Dauerkarte, seine Frau auch. Seit 42 Jahren sind sie verheiratet und haben fünf erwachsene Kinder.

    Als Journalist ist er gefürchtet und verehrt. In der Redaktion kann man ihn als Mann erleben, der auf zurückhaltende Art zugewandt ist. „Er beendet Gespräche, ohne ‚Tschüss‘ zu sagen“, erzählt ein SZ-Kollege. Aber das sei nicht böse gemeint, sondern eine Marotte. „Er ist ein eher bescheidener, ruhiger Mensch, macht nicht viel Aufhebens um seine Person.“ Aber in der Sache  meinungsstark, temperamentvoll und unnachgiebig. „Er ist ein Vorbild.“

    Nicht für alle. Als er voriges Jahr zusammen mit seinem Investigativ-Team den renommierten Henri-Nannen-Journalistenpreis ablehnte, weil Kollegen der „Bild“ ihn auch bekam, warfen ihm einige aus der Branche Verbohrtheit vor. „Ich fand diese Ablehnung hochmütig“, sagt Helmut Markwort, Chefredakteur und Herausgeber des „Fokus“ und in der Jury des Nannen-Preises einer der Befürworter der „Bild“-Auszeichnung. Er wirft Leyendecker „Selbstgerechtigkeit“ und „Altersstarrsinn“ vor und befindet: „Bei der ‚Bild‘-Zeitung gibt es auch hervorragende Journalisten.“ Hans Leyendecker aber geht es immer auch um die Haltung dahinter. Und indem er die wahrt, wahrt er Distanz – nicht nur zum Boulevard. Auch Bekanntschaften auf Du und Du zu Politikern oder anderen Funktionsträgern, um möglicherweise besser an Informationen heranzukommen, sieht er kritisch.

    Da vermag zu irritieren, dass in seinem Büro über seinen Rechnern eine große Fotografie von Willy Brandt prangt. Sie zeigt den SPD-Altkanzler in einem privaten Moment mit Kippe im Mundwinkel und Klampfe in der Hand. „Das drückt dasselbe aus, was die BVB-Bahne meint“, erklärt Leyendecker hierzu: „Ein Leben für den Verein und die Bewunderung für eine Person.“ Journalistisch halte er dennoch Abstand und berichte über die SPD mindestens genau so kritisch, wie über alle anderen Parteien – und manchmal noch ein bisschen härter. „Sich nicht gemein machen, das ist schon ein Charakterzug von mir“, stellt er fest – und schiebt im nächsten Moment nach. „Außer mit Borussia Dortmund.“