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  • Privataudienz mit Musikern

    Privataudienz mit Musikern

    Wohnzimmershows sind schwer angesagt: Für viele ist es ein intimes Konzerterlebnis, andere kritisieren den elitären Ansatz – Ein Streifzug durch die Republik

    Diesmal ist es an Christina. Die Tür zu ihrer Wohnung steht weit offen, ihre Küche ist zu einer Bar umfunktioniert, ihr Wohnzimmer bevölkert von Leuten. Dicht an dicht hocken sie auf dem Boden, flächendeckend wie ein Teppich. Augen und Ohren sind auf den jungen Mann gerichtet, der gerade ein Cover des Oasis-Hits „Wonderwall“ spielt und singt. Beseelt stimmen sie ein in die Britpop-Hymne, viele wiegen sich: „Because maybe, you’re gonna be the one that saves me.“

    Es klingt etwa stereotyp, was der Singer/Songwriter „Finner“ da an einem Sonntagabend in einem Darmstädter Hinterhaus zum Besten gibt. Überraschungen bietet seine Musik nicht. Das Besondere an seinem Auftritt ist vielmehr der private Austragungsort – auch für ihn „völliges Neuland“, wie er eingangs sagt. Und sich kurz darauf fragt: „Singt das Publikum hier hin und wieder mit?“ Nun, bei „Wonderwall“ muss er sich keine Sorgen machen. Funktioniert immer.

    Darmstadt: „Bedroomdisco“ mit Expansionsbestrebung

    Kein Neuland hingegen betritt hier das Veranstalterteam der „Bedroomdisco“-Reihe. Seit 2011 organisieren sie Konzerte im Privaten und das mittlerweile wegen des wachsenden Erfolgs außer in Darmstadt auch in Hamburg, Nürnberg oder Augsburg. Geld verdienen wollen sie damit nicht. „Das ist ein Liebhaberkonzept“, betont Mitinitiator Dominik Schmidt, der im Booking arbeitet und mit der Agenturszene gut vernetzt ist. Hundert Prozent der Einnahmen, die auf Spendenbasis mit einem Hut eingesammelt werden, gingen an die Musiker.

    „Wir wollen Bands in einem schönen Rahmen präsentieren“, beschreibt Schmidt seine Motivation. Die Barriere zwischen Band und Publikum werde weggenommen. Und das Exklusive dabei spiele auch eine Rolle. „Man gewinnt den Eindruck, es kommt nicht jeder rein.“ Denn öffentlich angekündigt werden die Shows nicht: Man  wird per Newsletter informiert und kann sich für eine Auslosung bewerben.

    Die Bedroomdisco-Leute sind keinesfalls Pioniere in dem Metier. Sie sind Teil eines Trends, der seit ein paar Jahren in den Nischen alternativer Veranstaltungskultur boomt. Und der wiederum belebt neu, was im 18. und 19. Jahrhundert als Salon- oder Hausmusik zelebriert wurde: Konzerte im privaten Rahmen abhalten für geladene Gäste, allerdings eher in adeligen oder gehobenen bürgerlichen Kreisen.

    Das heutige Spektrum reicht von Privatpersonen, die Musiker und Zuhörer zu sich nach Hause einladen, bis zu weltweit agierenden Agenturen, die Künstler in Wohnzimmer vermitteln. Es ist eine Möglichkeit, Musik sehr intim zu genießen. Aber es ist auch eine Privatisierung von Live-Kultur. Und die vollzieht sich im kleineren Darmstadt genau so wie in der Metropole Berlin.

    „Es geht schon um diese Intimität“, sagt Elena Brückner. Seit mehr als acht Jahren veranstaltet sie unter dem Titel „Live in the living“ einmal im Monat Wohnzimmershows in der Hauptstadt. „Als ich angefangen habe, gab es so was hier nicht“, sagt die Schauspielerin, die das Konzept aus Holland nach Deutschland geholt hat. Ihr geht es darum, ein konzentriertes Publikum zu haben und eine Plattform für unbekannte Musiker zu bieten.

    Berlin: „Es ist ein Mordsaufriss“

    Für sie bedeutet das ganz schön viel Arbeit. Sie sucht Bands und Räume aus, karrt Getränke und Stühle an, danach bringt die Musiker meist bei sich zu Hause unter. „Es ist ein Mordsaufriss“, sagt sie. Das könne keiner rein ehrenamtlich leisten. Sie nimmt einen Obolus für Eintritt und Getränke und zahlt den Musikern eine Festgage. „Viel verdiene ich nicht, aber es kommt was dabei rum, sonst würde ich es nicht machen.“

    Noch ganz neu dabei ist hingegen Peter Schneider, der das mit einem noch weniger öffentlichen Ansatz in Wedding betreibt. Der 51 Jahre alte Betreiber von „Abstecher Booking“ ist vor anderthalb Jahren von München nach Berlin gezogen und verfügte plötzlich über ein sehr großes Wohnzimmer. Dort ließ er schon ein paar Mal Musiker aus seinem Programm spielen in einem ganz privaten Rahmen vor Freunden. Teils hatte er keine andere Auftrittsmöglichkeit gefunden, teils gestaltete er es aber auch als private Zusatzshow.

    „Die Intimität ist natürlich ganz wunderbar“, sagt er. „Man kann sich vorher und nachher mit dem Künstler unterhalten.“ Das habe etwas sehr Entspanntes. Und für die Gage gehe ein Hut rum. Er bucht Houseshows teilweise auch für tourende Acts an anderen Orten, wenn sich nichts anderes bietet. Aber er kennt auch zwei Musiker, die mittlerweile nur noch in Wohnzimmern spielen.

    Für Stephen Burch ist es eine Möglichkeit, freie Tage auf einer Tour zu füllen. Der in Nürnberg lebende Engländer tritt auf als „The Great Park“ und hat schon eine Menge Houseshows gespielt. Angefragt wird er meist übers Internet. „Es ist intimer als in einem Club“, sagt er. Dadurch entstehe oft eine besonderere Atmosphäre.

    Nürnberg: Die Intimität ist auch anstrengend

    Aber die geringere Distanz zwischen Publikum und Musiker sei auch anstrengend. Es gebe keine Backstage, keinen Rückzugsraum, meist esse und übernachte man beim Gastgeber, die Auftritte seien mehr eingebettet in Gespräche mit dem Publikum, und man kenne die Kreise vorher nicht. „Nur Houseshows spielen wäre das letzte, was ich tun würde“, sagt er.

    Ein Reihenhauswohnzimmer in Karlsruhe. Vor der Terrassentür hat sich die Band zwischen Gitarren und Verstärkern eingerichtet und wartet auf ihren Auftritt. Noch trudeln Gäste ein, Getränke unterm Arm, andere sitzen schon im Raum und plaudern mit den Musikern. Über Verkehrskreisel, zum Beispiel. Oder die Wahl der Instrumente. Doch sobald die Band anfängt, wird das Publikum mehr als eine Stunde lang mucksmäuschenstill sein und aufmerksam zuhören.

    Karlsruhe: Gastgeberin auch aus egoistischen Gründen

    „Man hat einen anderen Bezug dazu, als wenn man so ’ne Distanz zur Bühne hat“, sagt Gudrun Täther. Die Mathematikerin lädt seit 2012 Musiker in ihr gepflegtes Karlsruher Zuhause ein und tut das, wie sie selbst sagt, aus ganz egoistischen und pragmatischen Gründen. Sie ist eine Konzertvielgängerin, kommt aber als Nutzerin des öffentlichen Nahverkehrs nach Shows in anderen Städten nur schwer oder gar nicht mehr heim. „Für mich ist es bequemer, die Konzerte hier zu haben, als sich die Nächte um die Ohren zu schlagen.“

    Gastgeberin war sie schon immer gern, aber diese Aufgabe hier erfordert eine besondere Logistik: Die Musiker übernachten bei ihr, da müsse sie bettentechnisch auch mal auf Nachbarn ausweichen. Ihre größte Sorge aber ist stets, das zu wenig Publikum kommt und zu wenig im Spendenhut landet.

    Neben Bekannten und Kollegen lädt sie über Flyer auch Unbekannte ein. Und hat festgestellt: „Es ist überraschend, wie nett die Leute sind, die zu sowas kommen.“ Und wie ist es mit den Bands? „Eine Musikerin fand ich ein bisschen anstrengend“, erzählt sie. Ansonsten sei es stets angenehm. Klar, es gehe auch mal eine Lampe kaputt. „Aber das ist dann mal so.“

    Berlin: „Ein krasser Kontrast zu Clubshows“

    Ja, die kaputte Lampe in Karlsruhe. Desiree Klaeukens kann sich gut an das Malheur erinnern, als sie vorigen November im Hause Täther zu Gast war. „Ich hatte Angst, dass es ein teures Erbstück war“, sagt die 29 Jahre alte Musikerin aus Berlin. Anfangs sei es komisch gewesen, in so eine Privatsphäre einzudringen. Aber der Auftritt sei total schön gewesen. „So gar nicht Berlin, nicht hip, nicht stylisch.“ Das sei ein krasser Kontrast zu Clubshows vor hunderten Leuten und könne einen ganz schön auf den Teppich der Tatsachen holen.

    Ihre Agentur habe die Idee gehabt, ein paar Wohnzimmershows als Vorbereitung auf eine größere Tour zu spielen. Für sie war das ein Sprung ins kalte Wasser, aber ein sehr besonderes Erlebnis. „Gerade für meine Musik ist es schöner, wenn es ruhig ist.“

    Auch Sebastian Hoffmann, Booker bei der Berliner Agentur „Paper & Iron“ weiß um die Vorteile von Houseshows und hat sie auch schon genutzt für tourende Musiker: „Ich sehe das immer wie eine Mischung aus Off-Day und Konzert, Aufmerksamkeit ist garantiert, der Übernachtungsplatz ist nahe.“ Er hat diese Auftrittsalternative schon 2007/2008 in den USA kennengelernt, als er ein Jahr in Portland gelebt hat.

    Damals, so erläutert er, sei das in eher aus einer Not heraus in der Punkszene entstanden: Aufgrund drakonischer Alkoholgesetze hätten junge Leute unter 21 Jahren keine Orte besuchen können, in denen Alkohol ausgeschenkt wird. „Es gab keine Möglichkeit, auf Konzerte zu gehen.“ Also veranstalteten sie ihre Konzerte zu Hause. „Das war ein politischer Akt, um eine Ungleichheit auszugleichen.“

    Berlin: „Was ich negativ finde, ist die Exklusivität“

    Auf die neuere und hierzulande wachsende Wohnzimmerkultur blickt er hingegen zwiegespalten. „Was ich negativ finde, ist die Exklusivität.“ Das Verlagern eines eigentlich öffentlichen Akts in den privaten Raum empfindet er auch als elitär. Auch wenn es unter dem Deckmantel der Authentizität gerne verkauft werde als romantisches Ideal. „Aber die Heterogenität des öffentlichen Raums fehlt einfach.“ Er sieht das auch als Ausdruck eines Rückzugs ins Private und Komfortable, da würden auch Mühen und Kosten gescheut.

    „Das ist manchmal sehr bizarr“, sagt er. Er habe schon erlebt, dass da Leute über eine Internetplattform als Gastgeber vermittelt worden seien, denen der Musiker aus New York für ihre wohl situierte Villa dann doch ein bisschen zu alternativ war. Da gehe es dann eher darum, sich mit einem Musiker zu schmücken wie mit einem Einrichtungsgegenstand. In einer Konsumhaltung. „Das hat dann eher was von einer Privataudience mit einem Künstler.“

    Ob das auch auf Christina in Darmstadt zutrifft, sei dahingestellt. Die Rolle als Konzert-Gastgeberin scheint ihr aber sichtlich zu gefallen. Beseelt lächelnd lauscht auch sie der Lagerfeuer-Musik von „Finner“. „Danke an Christina“, ruft einer der Veranstalter irgendwann über den Publikumsteppich zu. Sie winkt und lacht: „Gerne.“

  • In den Niederungen der Gema

    In den Niederungen der Gema

    Wenn irgendwo im öffentlichen Raum Musik läuft oder Bands spielen, werden Gema-Gebühren fällig:  Komponisten beschert die Verwertungsgesellschaft Einnahmen, treibt mit ihrer Bürokratie aber auch so manchen Veranstalter zur Verzweiflung

    Heike Endres hat sich ein Kissen in den Rücken geklemmt, sie muss viel sitzen bei der Arbeit. Durch ihre Brille blickt die feingliedrige Sachbearbeiterin auf zwei Monitore. Links ein Online-Fenster mit Dokumentennummer und Barcode für ein Konzert demnächst in Leipzig, rechts der Scan eines Blatt Papiers mit einer Liste Songs, die dort gespielt werden. „Gema-frei“, hat die Veranstalterin per Hand dazugeschrieben. „Bitte Überprüfung der Musikfolge“, tippt Endres in das Hinweisfenster für die Kollegen. Es ist sehr ruhig in dem Büro, durch das offene Fenster dringt etwas Vogelgezwitscher herein. Doch das Hauptgeräusch hier ist das Klicken der Computermaus.

    Es kommt nicht oft vor, dass die Gema sich über die Schulter blicken lässt. Die „Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte“ für Musik wirkt im Stillen, aber das mit weitereichendem Effekt: Jeder, der in Deutschland eine Veranstaltung mit Musik organisiert, ganz gleich, ob sie live auf einer Bühne gespielt wird oder von einem Tonträger an der Bar kommt, auch jeder Betreiber eines Ladens, in dem Musik läuft, bekommt es früher oder später potenziell mit der Gema zu tun.

    Die Verwertungsgesellschaft verlangt Lizenzvergütungen für die öffentliche Aufführung und Nutzung von Musikstücken ihrer rund 74.000 in Deutschland angeschlossenen Musikautoren und Komponisten sowie von über zwei Millionen Rechteinhabern aus aller Welt. Das tut sie schon lange, ihre Anfänge reichen bin zum Beginn des 20. Jahrhunderts zurück. Während also jüngst in Europa und Deutschland die heiß diskutierte Urheberrechtsreform beschlossen und somit an die Anforderungen der Digitalgesellschaft angepasst wurde, hat die Gema längst tagtäglich mit Fragen von Nutzungsrechten zu tun und was dafür zu zahlen ist. Allerdings sind da statt Uploadfilter eher Formulare im Einsatz.

    Und da heutzutage überall Musik läuft, im Konzertsaal, im Tanzclub, in der Kneipe, im Supermarkt, im Klamottenladen, auf dem Sportplatz, im Vereinsheim und nicht zuletzt im Internet, betrifft das immer mehr Menschen. Jedes öffentliche Ereignis mit Musikbeschallung muss eigentlich der Gema gemeldet werden – allein schon zur Überprüfung, ob hier Urheberrechte tangiert sind. Und wer sich nicht daran hält, dem drohen Strafzahlungen. Nachgespürt wird dem durch Mitarbeiter, die das Internet nach Events durchforsten und auch inkognito Veranstaltungen besuchen.

    „Es geht um Wertschätzung“

    „Es geht um Wertschätzung für diejenigen, die hinter der Musik stecken“, betont Frank Bröckl, Leiter der Geschäftsstelle in Wiesbaden, einer von bundesweit noch fünf Lizenzierungsstandorten. In einer zunehmenden Event- und Erlebniskultur spielten die Produkte ihrer Mitglieder eine immer tragendere Rolle. Beispiel Musikfestivals. „Dieser Markt ist in den letzten Jahren extrem explodiert, was die Größe und Eintrittspreise angeht“, erläutert der junge Betriebswirtschaftler. „Und die Entwicklung haben sie im Sport auch, einfach 90 Minuten Fußball gucken ist nicht mehr, das ist mittlerweile ein Event.“

    Dass indes auch ein ehrenamtlicher Kindersachenflohmarkt mit Hintergrundmusik eigentlich bei der Gema angemeldet werden muss und im Falle des Abspielens von Musik ihrer Lizenznehmer auch eine Vergütung fällig wird, ist längst nicht jedem klar. „Wir unterscheiden nicht zwischen Groß und Klein“, betont Bröckl.  „Wir unterliegen ganz klar einem Gleichbehandlungsgrundsatz.“ Die Berechnung der Vergütung geschieht dabei auf Grundlage von Größe der beschallten Fläche, Anzahl der Besucher und Höhe des Eintritts.

    Um dabei angesichts wachsender Anforderungen ökonomischer Arbeiten zu können, hat die Gema zum 1. Juli 2016 eine grundlegende Umorganisation vorgenommen: Zuvor wurde die   Musiknutzungsmeldungen regional in Bezirksdirektionen bearbeitet, nun heißen diese Geschäftsstellen und rechnen branchenspezifisch ab.

    So ist man in Wiesbaden nicht mehr für alle Musikereignisse in der Umgebung zuständig, sondern bundesweit speziell für die Bereiche Karneval, Handel, Gesundheits- sowie Bildungswesen. Die Post wird seither zentral über Berlin abgewickelt. Und Anrufer landen  nicht mehr vor Ort, sondern gebündelt in einem zentralisierten Kundencenter in Dresden.

    Deswegen bleibt das Telefon auf  Heike Endres Bürotisch nun auch meist still, und sie kann ungestört ihrer Arbeit nachgehen. „Das ist eine große Erleichterung für uns“, stellt die kaufmännische Angestellte fest. Ihr Chef hört das gerne. „Genau deswegen haben wir diese Umstrukturierung gemacht, sie können nun viel fokussierter Arbeiten als vorher“, erläutert er mit Blick auf die knapp 50 Mitarbeiter in Wiesbaden, die pro Tag 1000 bis 1200 Vorgänge bearbeiten. „Vorher hat ständig das Telefon geklingelt.“

    Doch am anderen Ende der Leitung kommt die neue Struktur nicht überall gut an und hat viel Verwirrung gestiftet. Veranstalter erhielten plötzlich monatelang keine Abrechnungen und waren irritiert, dass sie in ihrer gewohnten Bezirksdirektion niemand mehr erreichten. Denn dass es eine Umstrukturierung gab und vor Ort nicht mehr angerufen kann, hat die Gema längst nicht jedem mitgeteilt.

    „Wie vieles in Deutschland ein bisschen überreguliert“

    Gelitten hat etwa Rembert Stiewe, bei dem Plattenlabel Glitterhouse im nordrhein-westfälischen Beverungen für das jährliche „Orange Blossom“-Festival zuständig. Als er im Vorfeld wie gewohnt bei der Gema anrief, kam nur die Ansage, die Nummer sei nicht vergeben. Das neue Online-Formular habe er nur über Umwege finden und herunterladen können. Und Wochen nach der Veranstaltung hat er noch immer keine Rechnung erhalten.

    Damit das keiner falsch versteht: „Ich finde die Vergütung von Urheberrechten prima“, stellt Stiewe klar. „Aber wie vieles in Deutschland ein bisschen überreguliert und überbürokratisiert.“ Er fragt sich, wie die vielen nichtprofessionellen Veranstalter, die es gibt, das bewältigen sollen.

    Das bekrittelt auch Martti Trillitzsch, Musiker, Labelbetreiber und Veranstalter aus Fürth bei Nürnberg, der als „Mäkkelä“ Live-Bühnen und Tonträger bespielt. Er hat monatelang irritiert auf Abrechnungen gewartet, dann wurden ihm plötzlich nicht nachvollziehbare Mahnungen geschickt, und erreicht hat er ewig niemanden. „Das ist ein neues Level“, moniert er. Früher habe man bei seiner Bezirksdirektion auf Anruf Fragen schnell klären können.

    Nicht nur deswegen ist der Halbfinne bereits vor Jahren mit seinen Songs zur finnischen Verwertungsgesellschaft gewechselt. „Ich habe da eine wesentlich bessere Kontrolle und bekomme mehr als das Doppelte raus.“ Rund 3000 Euro nehme er im Jahr für die Musikrechte ein. „Gerade für Musiker ab des Mainstreams ist das eine wichtige Einnahmequelle“, betont er.

    „Wenn man Gema hört, kriegt der Normalnutzer Ausschlag“

    „Wenn man Gema hört, kriegt der Normalnutzer Ausschlag“, schimpft Monika Paula Brechtl vom Bund der Gemazahler, der 2011 gegründet wurde und mittlerweile 1500 Mitglieder vertritt. Im Zuge der Zentralisierung sei auch ihrer Wahrnehmung nach hinlängliches Chaos entstanden. Die Neustrukturierung hält sie für einen Rückschritt: „Als es die Bezirksdirektionen noch gab, konnte man mit denen reden. Schnell was klären, gibt’s nun nicht mehr.“

    Beim Bundesverband der Konzert- und Veranstaltungswirtschaft sieht man das ähnlich: „Für unsere Mitglieder sind Problemlösungen auf dem kurzen Dienstweg damit leider schwerer geworden“ sagt Präsident und Geschäftsführer Jens Michow. Die Festschreibung einer angemessenen Vergütung für Musikautoren hält auch er für unerlässlich. „Die Geister scheiden sich allerdings immer wieder bei der Frage, was denn tatsächlich angemessen ist.“ Und bei allem Gleichbehandlungsgebot gibt der Jurist zu bedenken: „Es gibt durchaus Fälle, in denen Einzelfallregelungen zu treffen sind.“

    Aber genau das ist nicht mehr erwünscht, wie eine Sprecherin der Gema in München bestätigt. „Es ist natürlich immer nett, wenn man jemanden kennt, den man anruft“, räumt sie ein. Aber es müssten nun mal immer die gleichen Tarife angewandt werden, und das sei in einer Zentralisierung viel leichter zu gewährleisten. „Wir haben die Aufgabe, so effizient wie möglich zu arbeiten.“ Und das betreffe nicht zuletzt die Personalkosten. Aus wirtschaftlichen Gründen wurde deshalb im Zuge der Umstrukturierung auch die Bezirksdirektion Dortmund stillgelegt. Die rund 80 Mitarbeiter sind laut Schilcher auf andere Stellen verteilt worden.

    Für Heike Endres hat sich nichts geändert. Seit mehr als 30 Jahren arbeitet sie am Gema-Standort in Wiesbaden. „Im Prinzip macht man dasselbe wie früher, nur deutschlandweit“, stellt sie fest. Dabei lerne man natürlich viele neue Orte kennen. Zum Beispiel das Konzert in Leipzig, das sie gerade auf dem Bildschirm hat, das sei in einer Kunstgalerie, wo öfter No-Name-Bands spielen. Wenn die „Gema-frei“ auf das Formular schreiben, stimme das schon.

    Und wenn sie mal die Meldung eines Konzerts bearbeite, das gut klingt und in der Nähe ist, schaue sie dort auch mal selbst vorbei. Aber ganz privat. „Ich gehe selbst sehr gerne auf Konzerte“, sagt Heike Endres – und betont bei der Verabschiedung. „Wir sind alle keine Bösewichte hier“. Dann klickt wieder nur die Computermaus.

  • Umstrittene Diät-Spritze

    Umstrittene Diät-Spritze

    Easylife lockt mit starker Gewichtsreduzierung durch homöopathische Injektionen und Ernährungsumstellung, doch Verbraucherschützer sehen das Angebot kritisch und klagen erfolgreich

    Das leidige Thema Abnehmen beschäftigt Jasmin Sehnert schon eine Weile. Seit einem Skiunfall vor einigen Jahren kann sich die sportive Frau aus Darmstadt nicht mehr so viel wie zuvor bewegen, ist auf Schmerzmittel angewiesen und hat stark zugenommen. Sie möchte wieder Gewicht verlieren. „Ich mache dreimal die Woche Sport, ernähre mich ausgewogen“, erläutert sie. Doch bislang half das kaum. Da kam die Empfehlung einer Kollegin gerade Recht, es mal mit „Easylife“ zu versuchen.

    „Abnehmen leicht gemacht! Bis zu zwölf Kilo Gewichtsverlust in vier Wochen möglich. Ohne Hungern, Kalorienzählen oder Sport.“ Mit solch verlockenden Aussichten wirbt die Firma Easylife für ihr Abnehmprogramm bundesweit in mehreren Städten, gerne auch mit verheißungsvollen Zeitungsanzeigen. Purzeln sollen die Pfunde durch eine Ernährungsumstellung und Spritzen eines homöopathischischen Mittels. Doch Verbraucherschützer kritisieren, es würden unrealistische Versprechungen gemacht, und haben schon mehrfach erfolgreich dagegen geklagt.

    „Die Verbraucherzentralen raten von der Easylife-Diät ab“, stellt Ernährungsexpertin Susanne Sachs von der Verbraucherzentrale Hessen klar. Es sei unredlich, stark übergewichtigen Personen den Eindruck zu vermitteln, man könne ohne Sportprogramm innerhalb weniger Wochen dauerhaft und ohne zu hungern viel Gewicht verlieren. Radikale Dauer-Diäten könnten Gesundheitsrisiken wie eine Nährstoff-Unterversorgung zur Folge haben. Und es gebe keine Informationen darüber, wie nachhaltig die Diäten wirkten.

    Dass auch ehemalige Kunden das kritisch sehen, zeigt das Beispiel Jasmin Sehnert. „Ich möchte andere warnen, sich das gut zu überlegen, einen Vertrag abzuschließen“, sagt die Darmstädterin, die nach eigenen Angaben „sehr schlechte Erfahrungen“ in der örtlichen Filiale des bundesweit auftretenden Anbieters gemacht hat. Bei einer „kostenfreien Erstberatung“, die Easylife bewirbt, habe sie sich erstmal informieren wollen. „Aber ich wurde überrumpelt.“

    Am Ende des Gesprächs habe sie die Filiale mit einer unterzeichneten Vereinbarung verlassen, für 16 Wochen Therapie 4590 Euro zu zahlen. „Die sagen, wir helfen ihnen, und mein Leidensdruck war groß.“ Doch bald sei bei ihr Skepsis aufgekommen – nicht nur wegen der Höhe der Kosten. Fraglich habe sie auch die radikale Ernährungsumstellung gefunden, denn die setze unter anderem auf totalen Fettentzug. „Das kann nicht gesund sein.“

    Nachdem sie zudem Verdauungsbeschwerden bekommen habe, habe sie nach einigen Tagen wieder gekündigt. Doch dass sie für die bis dahin erfolgte Behandlung mit insgesamt fünf Injektionen unter die Haut letztlich 760 Euro habe zahlen müssen, ärgert sie bis heute. Vor allem, weil sie auf mehrfache Nachfrage nicht erfahren habe, was in den Spritzen ist. Das sei Betriebsgeheimnis, hieß es.

    Für Ernährungsexpertin Sachs von der Verbraucherzentrale ist das einer der Knackpunkte bei dem Anbieter, der ihnen schon länger „ein Dorn im Auge“ sei und Kundenbeschwerden nach sich ziehe. „Auch wenn unklar ist, ob homöopathische Mittel wirken, sollten Verbraucher eine Information über ihnen verabreichte Substanzen erhalten.“ Es könnten ja Allergien bestehen. Ihre Kollegin Daniela Hubloher von der Patientenberatung sieht das auch durch Patientenrechte gedeckt: Der Behandelnde sei verpflichtet, über sämtliche für die Einwilligung wesentlichen Umstände aufzuklären.

    Auf Presse-Anfrage erklärt der Geschäftsführer der Darmstädter Filiale (er möchte namentlich nicht erwähnt werden), dass die Inhaltsstoffe der Injektion in jedem Easylife-Zentrum eingesehen werden könnten. Er verwehrt sich gegen den Vorwurf mangelnder Information. In dem 45-minütigen Erstgespräch werde die Therapie ausführlich besprochen und eine entsprechende Verständnisbestätigung eingefordert.

    Auch widerspricht er der Kritik an der Behandlung: „Easylife ist keine radikale Dauer-Diät, sondern eine Ernährungsumstellung mit dem Ziel, langfristige Erfolge zu haben.“ Sie achteten sehr auf eine ausgewogene Ernährung. Nach der aktiven Gewichtsabnahme in der ersten Phase werde der Körper wieder an alle Stoffe herangeführt, um einen Jojo-Effekt zu vermeiden. Ihre Kunden würden über Monate nachbetreut und erreichten in 95 Prozent der Fälle das angestrebte Wunschgewicht in der errechneten Zeit.

    „Wir werben grundsätzlich mit realen Gewichtsabnahmen und Fotos“, betont zudem der Geschäftsführer, der neben der Darmstädter noch etliche weitere Zweigstellen betreibt – etwa Frankfurt, Mainz oder Gießen. Er verweist auf eine von einem Abmahnverein angestrengte Klage vor dem Landgericht Darmstadt: Sie wurde 2013 als unbegründet abgewiesen, weil die in der betreffenden Werbung gezeigten und vor Gericht befragten Personen nachweislich und nachhaltig wie beabsichtigt abgenommen hätten.

    Der klagende Berliner „Verband Sozialer Wettbewerb“ zur Unterbindung von unlauterem Wettbewerb und Wirtschaftskriminalität bestätigt das. Doch legt er im Gegenzug diverse Klagen wegen irreführender Werbung einzelner Easylife-Filialen vor, die er danach gewonnen hat – darunter auch gegen den Darmstädter Anbieter. Auch die Wettbewerbszentrale in Bad Homburg hat schon erfolgreich gegen Easylife Darmstadt geklagt.

    In den vergangenen Jahren haben Gerichte dem Anbieter Easylife in etlichen Fällen irreführende Werbeaussagen verboten, nachdem Verbraucherschutz-oder Wettbewerbsverbände geklagt hatten. Auf Klage des „Verbands  Sozialer Wettbewerb“ untersagt wurde etwa 2013 dem Betreiber der Frankfurter Filiale, der auch die in Darmstadt führt, die Verwendung des Slogans „Abnehmen ohne Diät“. Begründung: Die Therapie basiere eben auch auf einer Diät. Nach Auskunft des Verbands ist Easylife nicht der einzige, aber aktuell der auffälligste Anbieter eines fraglichen Abnehmangebots.

    Auch die Verbraucherzentrale Hessen verweist auf mehrere Urteile, in denen Werbeaussagen von Easylife juristisch untersagt wurden – etwa der Slogan „…verlieren auch Sie spielend bis zu zwölf Kilo in einem Monat“ oder „ohne Hungergefühle“ durch das Landgericht Bonn 2015 gegenüber Easylife Nordrhein-Westfalen.

    Schwierig sei dabei: Obwohl der Stil der Werbung bundesweit ähnlich aufgebaut sei, müssten fragliche Werbeaussagen bei jedem Lizenznehmer einzeln abgemahnt werden. In der Folge seien Slogans mancherorts verboten, mancherorts nicht. So müsse bei Anzeigen in Hessen mittlerweile der Hinweis ergänzt sein: „Nicht bei krankhafter Fettsucht.“

    Der Darmstädter Anbieter indes hat auf wiederholte Echo-Anfrage dazu keine Stellungnahme mehr abgegeben. Auch wurde nicht reagiert auf den Vorschlag der Redaktion, die Darmstädter Filiale zu besuchen und vor Ort mit Mitarbeitern und Kunden zu sprechen.

    Verbrauchertipp:

    Grundsätzlich rät die Verbraucherzentrale Abnehmwilligen zu Programmen gemäß der Anforderungen der Adipositas-Leitlinien, die unter anderem von der Deutschen Adipositas-Gesellschaft und der Deutschen Gesellschaft für Ernährung erarbeitet wurden. Für eine nachhaltige Gewichtsreduzierung sei es grundsätzlich notwendig, dass neben einer Umstellung der Ernährung und eventuellen psychotherapeutischen Begleitung auch das Bewegungsverhalten verändert wird.