Kritiken

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  • Schmäh in Schräglage

    Schmäh in Schräglage

    Der Wiener Front-Schlawiner Voodoo Jürgens zelebriert auch live mit Band eine gossenhafte Grandezza und den Schlager als subkulturellen Akt

    Der dunkle Anzug hängt kantig um den dünnen Körper, die blonde Vorne-kurz-hinten-länger-Frisur zottelt ums bubenhafte Gesicht, die Zuhälterkette glitzert am aufgeknöpften Kragen des Siebziger-Jahre-Hemds. Mit einer gossenhaften Grandezza kommt er daher, dieser Wiener Schlawiner, der sich Voodoo Jürgens nennt und stilsicher zwischen Schmäh von Schmach bewegt. Oder, um mit zwei Kernaussagen auf seiner aufkleberübersäten Akustikgitarre zu sprechen: zwischen „Fettkakao“ und „Nein“.

    Mit viel Schmiss stimmen Voodoo Jürgens und seine vierköpfige Band „Die Ansa Panier“ am Montagabend in der nur spärlich gefüllten Centralstationshalle das Stück des Debütalbums „Ansa Woar“ an, mit dem Jürgens voriges Jahr einen Hit gelandet hat. „Heite grob ma Tote aus“ ist eine munter hin- und herschwankende Nummer. Das Ausgraben von Leichen beschwört sie mehr sinnbildlich als einen Akt, das Abseitige zu zelebrieren. Passend dazu wird die Hookline unprätentiös mit einer Melodika in Schräglage geblasen.

    Außer der packenden Taktung und Melodik ist es wohl auch der hier relativ gut verstehbare Text, der die Nummer griffig macht. „Des is‘ wie bei ‘em Eros-Ramazotti-Konzert“, hat der 34 Jahre alte Voodoo Jürgens alias David Öllerer schon zum Auftakt des Konzerts gewitzelt angesichts seines hierzulande kaum verstehbaren Tiefenwienerischs. Und trotzdem kann man manchmal mitsingen, zum Beispiel den Refrain des Hits, als das Publikum der Aufforderung des charmanten Frontwieners folgt: „Den Text kennt’s jetzt, singt’s a Rund‘ mit mir.“

    Musikalisch wird Voodoo Jürgens gern dem Austropop zugeschrieben, den seit einigen Jahren österreichische Bands wie Wanda neu aufleben lassen. Mit ihnen ist er durchaus verbandelt und wurde auch schon als das nächste große Ding dieses Pop-Hypes gehandelt. Doch Voodoo Jürgens ist mehr als das. Das Schlagerhafte trägt er mehr als Zerrbild in seinem Namen, frech entlehnt von dem gerade in Deutschland als Schlagerstar verehrten, verstorbenen Österreicher Udo Jürgens.

    Doch musikalisch bewegt er sich eher in der österreichischen Tradition des Morbiden: Mit bitterschwarzem Humor und einer sprachintensiven Detail- und Typenverliebtheit begibt sich der 34 Jahre alte Liedermacher und Songpoet mit bürgerlichem Namen David Öllerer an die Ränder der Gesellschaft, wo er selbst in Teilen aufgewachsen ist. „Zwischen Zuckerbude und Kadaverfabrik“ besingt er die Kindheit in der Geburtsstadt Tulln, in „Nochborskinda“ einen prügelnden Vater, in „Hansi Da Boxer“ eine Sechziger-Jahre-Kämpferlegende.

    Voodoo Jürgens schlüpft in diese Figuren und ist mundsprachlich so nah bei ihnen, dass es eine wahre Pracht ist. Die Worte entfalten selbst dann Wucht, wenn man sie nicht versteht. Gehässig zieht er Vokale in die Länge, angriffslustig rollt er das R, ein säuseliger Ton wechselt mit eruptiven Tiraden. Mal klingt er rau wie Tom Waits, rezitierend wie Bob Dylan, sarkastisch wie Landsmann Georg Kreisler und auch mal quirlig wie die Wienerin Cissy Kraner. Das ist nicht Schlager, das ist Kleinkunst zwischen Leben und Tod.

    Die subkulturelle Anmutung wird mitgetragen von einer Instrumentierung, die mehr akustisch als poppig daherkommt mit Kontrabass, Akkordeon, Geige, Keyboard und einem oft  reduzierten Schlagzeug. Der Sound ist dunkel und warm, die Taktung oft schlendernd. Das passt gut zur matten Melodramatik, die Voodoo Jürgens auch gestenreich übermittelt. Immer wieder beugt er den Körper im Vortragsrausch vorn über und macht mit dem rechten Arm eine weit ausholende Bewegung. Es ist, als mache er einen Diener vor den Worten. Und den macht er am Ende auch vorm Publikum. Denn galant ist der Schlawiner auch.

  • Im Independent-Proberaum

    Im Independent-Proberaum

    Kein Bandname, keine Tonträger und auch sonst wenig Greifbares: Das Konzert von „Sonic-Youth“-Schlagzeuger Steve Shelley mit seinem neuen Trio ist nicht mehr als eine Session von Szenevertretern

    Es ist immer lohnend, in den Proberaum zu gehen. Das gilt natürlich zuvorderst für Musiker, die dort jammen und Stücke entwickeln. Es kann aber auch für Musikkonsumenten interessant sein, weil dabei das noch nicht Durchstrukturierte, Prozesshafte von Musik erlebbar wird. Insofern proberaumartig gestaltete sich ein Konzertabend am Donnerstag im 806qm, bei dem mehrere als Legenden und Veteranen annoncierte Vertreter der Independentszene auf der Bühne standen – oder saßen.

    Im Vorprogramm beweisen fünf teilergraute Herren der Stuttgarter Experimental-Formation „Metabolismus“, dass man auch im höheren Alter noch lange vor Instrumenten auf dem Boden knien und abseits des Mainstreams musizieren kann. „Vorstoßend ins Ungewisse des musikalischen Hyperraums“, so eine Eigenbeschreibung, erzeugen sie mit einer Unmenge an Tastenkästen, Rasseln, Kling-Klong-Gerätschaften, Flöten oder Stehbass bizarre Klangräume transzendentaler Anmutung, deren Strukturlosigkeit nur ab und an in einen Rhythmus fällt.

    In bester Proberaummanier drehen sie sich bei diesem regelrecht planetarisch schwebenden Auftritt vor allem um sich selbst, nur stellenweise verlässt ein genuscheltes Textfragment ein Paar Lippen, bis schließlich nach dem letzten Stück mitgeteilt wird: „Wir sind durch.“

    Ein Vorstoß ins Ungewisse unter anderen Vorzeichen ist dann der mit Spannung erwartete Auftritt des New Yorker Trios aus Steve Shelley, Ernie Brooks und Matt Mottel. Wobei vor allem erster als Zugpferd wirkt, handelt es sich dabei doch um den „Schlagzeuger der legendären Sonic Youth“ bis zur Auflösung der szeneverehrten Noiserockband 2011. Dennoch zog es nur rund 50 und damit erstaunlich wenig Leute in den größeren der beiden Konzertsäle des erst kürzlich nach Neubau wiedereröffneten studentischen Veranstaltungsorts.

    „So etwas passiert einem eher selten“, hatten die Veranstalter im Infotext vorweggeschickt. Gegen jegliche Vernunft habe man sich entschieden, ohne vorher etwas gehört zu haben, diesen Act zu buchen. Kein Tonträger, kein Bandname habe existiert. Einzig die drei Musiker, von denen in dieser Konstellation vor Start ihrer Debüttour durch Europa außerhalb ihres Proberaums noch keiner was zu hören bekommen habe, „wissen, was dem Publikum präsentiert werden wird“.

    Deutlich schmissiger als in der ersten Abendhälfte ging es in jedem Fall zu bei dem Trio, das im Grunde in einer klassischen  Rockbesetzung auf der Bühne agierte. Allerdings spielte Matt Mottel, unter anderen Mitgründer der Avantgardeband „Talibam!“, statt einer E-Gitarre ein „Keytar“ genanntes Umhängekeyboard, hierzulande zu fragwürdigem Ruhm gelangt durch das Seichtpop-Achtziger-Duo „Modern Talking“. Doch im Gegensatz dazu entlockt dieser New Yorker Keytarrero dem Instrument eher vorwitzige Linien und Solos, die etwa wie verzerrte Orientalflöten oder das Verbindungsrauschen eines sich einwählendes Modems klingen.

    Schlagzeuger Shelley und Bassist Brooks betten seine Spielereien auf einen eher matten Indiesound, dessen Taktung und dunkle Tongebung Bezüge zum Wave und Postpunk der Siebziger und Achtziger Jahre hat. Brooks schickt seinen Bass öfter mal über einen Verzerrer. Auch der eher introvertierte Gesang bewegt sich gerne mal etwas ab der Spur, während er Betrachtungen aus Amerika nachhängt zwischen Traktoren in Iowa oder Vorottristesse in Boston. In der zweiten Hälfte wird das Programm atmosphärisch dichter und rhythmisch packender, da wird im Publikum auch getänzelt. Doch bis zum Schluss behält der Abend starken Sessioncharakter. Man kann das vielleicht als Gegenentwurf zur Dienstleistungsgesellschaft verstehen. Man kann es aber auch so sehen, wie ein junger Mann im Publikum, der abschließend feststellte: „15 Euro bezahlt für einen Probebesuch.“

  • Gesichter, die Bände sprechen

    Gesichter, die Bände sprechen

    Die Fotokunst des Richard Avedon ist im Berliner Martin-Gropius-Bau erstmals in einer Retrospektive in Deutschland zu sehen

    Manchmal ist ein Portrait gerade deshalb besonders aufregend, weil gar kein Gesicht zu sehen ist. Da lenkt ein Frauenbein die Aufmerksamkeit des Betrachters ganz auf sich, eine schlanke Fessel ragt aus dem dunklen Pelzrand eines hochhackigen, geschlossenen, Damenschuhs in Schwarz. Man sieht das blanke Bein nicht mal hoch bis zum Knie, der obere Teil ist von einem Pelzmantel verdeckt. Und dennoch ergibt sich das Bild einer Frau – die sich edel kleidet, die eine mondäne Strenge umgibt und die mit weitem Schritt schreitet über den Platz vor dem Eiffelturm, der nur schemenhaft im Hintergrund auftaucht.

    Es ist interessant, dass ausgerechnet dieses Foto einer Extremität den Auftakt bildet zu der ersten deutschen Retrospektive des großen Schwarz-Weiß-Fotografen Richard Avedon im Berliner Martin-Gropius-Bau. Denn ansonsten ist es eine Schau der Gesichter. Nur einmal noch ein Portrait kopflos daher – und bezieht auch hier gerade daraus besondere Wirkung: Es zeigt einen nackten Männeroberkörper mit brutalen Einstichverletzungen, wulstige Narben ziehen sich quer über den Rumpf. Dass es der geschundene Körper von Andy Warhol ist, der einst Opfer einer Messerattacke wurde, verrät erst der Text. Zuvor dachte man allenfalls an einen Niemand, wie ja Opfer leider viel zu oft Nobodies sind.

    Ob nun mit Kopf oder ohne: Richard Avedon, 1923 in New York geboren, 2004 in Texas gestorben und dazwischen sechzig Jahre lang schon zu Lebzeiten einer der bedeutendsten Menschen- und Modefotografen, macht das Objekt zum Subjekt. Das gilt schon für seine frühe Modefotografie ab 1946, mit der die chronologisch gehängte Schau von mehr als zweihundert seiner Werke beginnt. Der Fotograf haucht Models und Mode Leben ein, indem er sie in Bewegung zeigt, auf den Straßen oder im Nachtleben von Paris. Es ist eine szenische Modefotografie, die Stoffe fließen und Haare fliegen lässt und Models erhebt über eine reine Objektfunktion hin zur Filmrolle.

    Fast bahnbrechend in der Welt perfekter Inszenierung perfekter Frauen in perfekten Kleidern: Sein Verzicht auf Kunstlicht. Bevor Avedon in den fünfziger Jahren die Models in den atemberaubenden Roben von Dior und Co. in den Pariser Studios der Modezeitschrift „Harper’s Bazaar“  ablichtete, riss er Fensterverkleidungen herunter und fotografierte die edel gekleideten Damen dann bei Oberlicht vor einem dunkelstumpfen Stück Stoff, das am Rande ausfranselt und Wellen schlägt.

    Es ist oft kompositorischer Bestandteil von Avedons Fotokunst, dass man ihr das Handwerk ansieht. Da ist die notdürftige Art, mit der ein Hintergrundstoff festgepinnt wurde, Teil der Inszenierung. Typisch Avedon sind auch die schwarzen Rahmen um seine Portraits, die den Belichtungsvorgang beim Abziehen auf Fotopapier dokumentieren. Überhaupt offenbaren seine Bilder eine Experimentierfreude, die jedoch nicht zu verspielt, sondern angemessen eingesetzt wird – vom grobkörnigen Einfangen einer verwehten Strandszene bis zum aufwühlenden Wahnsinnseffekt, den eine lange Belichtungszeit in einem geschüttelten Tanzlehrer-Gesicht hinterlässt.

    Doch starke Spannung entwickeln die Portraits, die den Fokus ganz und klar auf den Menschen legen, wenn kein Dahinter oder Daneben ablenkt. Das wirkt pur und ehrlich – sogar bei denen, die geübt sind im Posieren. Der leere Blick einer tottraurig aussehenden Marilyn Monroe (1957) erweckt hier fast den Eindruck, Avedon habe sie in einem unbeobachteten Moment erwischt. Salman Rushdie (1994) gewährt tiefen Einblick in satanische Augen. Und Truman Capote (1974) schaut so angewidert unter seinen halbgeschlossenen Augenlidern hervor, dass einem fast vom Zusehen schlecht wird.

    Besondere Perlen jedoch, gerade in der räumlichen Nähe zu all den Prominenten, sind die Menschen, die Richard Avedon von 1979 bis 1983 bei seinen Reisen durch den amerikanischen Westen vor einen weißen Hintergrund stellte: Der Lastwagenfahrer, die Kellnerin, die Physiotherapeutin zehren von der Attraktivität des Unbekannten. Da wird die Betrachtung zum Ratespiel zwischen Schein und Sein, entpuppt sich der junge Beau als Fleischpacker, die Drogenabhängige als Krankenschwester und der Regisseur als Landstreicher.

    Es ist eine facettenreiche, eine gewinnbringende, eine empfehlenswerte  Ausstellung im altehrwürdigen Martin-Gropius-Bau, der noch dazu eines der schönsten Museen in der Mitte Berlins ist. Und bei aller Kritik im Gästebuch an einer nicht nachvollziehbaren Betextung, die mal zu lange und mal zu kurze Erläuterungen biete: Die Gesichter, die Richard Avedon zeigt, sprechen auch ohne Text Bände – selbst, wenn man gar keine sieht.